Der Bericht aus Lappland
Abisko und der Permafrost.
Mensch Paul, erzähl doch mal! Wie wars denn nun in Schweden? Warst du nicht die letzten Monate unterwegs?
Das stimmt ich bin in Abisko beim climate impacts research centre gewesen.
Für alle, die nicht wissen, wo das liegt: Abisko ist ein kleiner Ort im höchsten Norden Schwedens oder vielleicht besser in Lappland. Genauer gesagt, der Ort liegt zwischen der Eisenerzmine in Kiruna und dem Hafen in Narvik. Je nach Definition befindet man sich schon in der Arktis oder Sub-Arktis. Sprich im Winter ist es kalt und dunkel und im Sommer immer hell. Du hast erzählt, dass du dich mit dem Permafrost dort beschäftigt hast und meintest, er taut und entlässt CO2 in die Atmosphäre. Das verstehe ich nicht ganz, wenn ich mir einen arktischen Winter mit meterhohem Schnee und dich mit Frostbeulen im Gesicht vorstelle.
Aber fangen wir weiter vorne an. Erst einmal die Frage, was ist Permafrostboden und ist er normalerweise das ganze Jahr über gefroren?
Abisko liegt noch in der Zone von diskontinuierlichen Dauerfrostboden, sprich es gibt nur einige begrenzte Flächen in denen der Boden als Permafrost gilt. Das kommt daher, weil diese kleinen Flächen besondere Bedingungen aufweisen, die den gefrorenen Boden aus der letzten Eiszeit vor ca 10.000 Jahren gut konserviert haben. Das sind meistens Senken, in denen sich das Wasser gesammelt hat und nun die Kälte noch „speichern“ kann. In diesen Mooren ist der Boden meterweit gefroren über das ganze Jahr, nur die obersten 40-80 cm tauen dann über den Sommer auf. Diese oberste Bodenschicht heißt active layer und ist das, was immer tiefer wird, wenn man von tauendem Permafrostboden spricht. In dieser Schicht finden alle biologischen Prozesse statt, Pflanzen betreiben Fotosynthese, wachsen, bilden Wurzeln, sterben wieder ab. Und dann gibt es noch die Microorganismen, die sich mit der Zersetzung von organischer Substanz beschäftigen und aus deren Stoffwechsel CO2 ausgeatmet wird.
Halt halt halt, das wird ganz schön viel und geht mir zu schnell. Der Boden taut also jedes Jahr ein Stück auf und diese Pflanzen können darauf leben und Fotosynthese betreiben, aber wo kommt jetzt das CO2 her?
Lass mich dafür etwas weiter ausholen: Alles lebende besteht auf unserer Erde aus Kohlenstoffverbindungen. Also auch Pflanzen. Sie betreiben Fotosynthese, nehmen Kohlenstoff aus der Atmosphäre als CO2 auf, bauen den Kohlenstoff in ihre Blätter, Stengel und Wurzeln ein, wachsen weiter und nehmen mehr CO2 auf und geben dafür Sauerstoff als Produkt wieder ab. Wenn allerdings kein Licht auf die Blätter trifft, atmen Pflanzen wie wir CO2 aus, was wieder in die Atmosphäre kommt.
Aber erst noch einmal zum Boden: Stirbt die Pflanze dann eines Tages ab, wird der Kohlenstoff als toter Pflanzenreste in den Boden eingelagert. Dort warten jetzt die Microorganismen, um es als Nahrung zu verarbeiten und zu zersetzen. Wenn sie das tun, atmen sie als Produkt CO2 oder Methan aus. Unter idealen Bedingungen wäre dieser Kreislauf von CO2 was aus der Atmosphäre in den Boden kommt und was wieder an die Atmosphäre abgegeben wird im Gleichgewicht im globalen Maßstab. In dem von uns untersuchten Moor ist die Bilanz sogar positiv im Sinne von mehr Kohlenstoff, der im Boden gespeichert wird und mehr Sauerstoff, der produziert wird.
Das verstehe ich, wie kommt es denn aber jetzt zum weiteren Auftauen? Hast du nicht erzählt, dass du zu deinem Moor durch hüfttiefen Schnee gestapft bist?
Die Sache mit dem Schnee scheint paradox. Je wärmer es ist, desto mehr Feuchtigkeit kann in Luft transportiert werden, es entsteht also mehr Niederschlag. Wenn es also wärmer wird, entsteht auch mehr Schnee. Und Schnee wiederum kann sehr gut isolieren. Da kann die Luft noch so bittere -20 Grad Celsius kalt sein, unter einer solchen Schneedecke hat der Boden trotzdem eine Temperatur kurz unter 0.
Bei der Erwärmung ist es ähnlich, am Ende hängt alles zusammen.
CO2 als Treibhausgas sogt dafür, dass die Strahlung, die von der Sonne zur Erde kommt, zu großen Teilen nicht zurück in den Weltraum reflektiert werden kann. Stattdessen bleibt sie in unserer Atmosphäre und es entsteht Wärme. Je mehr CO2 in der Atmosphäre ist, desto stärker der Effekt, desto mehr erwärmt sich die Atmosphäre im Durchschnitt. Die Winterperioden in der Arktis werden kürzer, dafür schneit es mehr, was den Boden besser isoliert. Allerdings ist die Zeit, in der der Boden mit Schnee bedeckt ist, kürzer. Der Schnee hat eine helle Oberfläche und reflektiert bis zu 80% der Sonnenstrahlung, im Gegensatz dazu absorbiert eine dunkle Oberfläche die Strahlung und der Boden erwärmt sich.
So- also mehr Schnee, weniger Kälte im Boden, schnellere Erwärmung in längerer Sommerperiode. Ergo der Boden taut weiter auf.
Wenn ich mir jetzt diesen getauten Boden vorstelle, entsteht mehr CO2 weil, es mehr Boden ist, in dem Leben stattfindet?
Genau, mehr Volumen an Boden. Und dazu kommt, dass in diesem „mehr“ auf einmal Nährstoffe frei werden, die seit tausenden von Jahren – von Pflanzen vor der Eiszeit – im Frost fixiert waren. Wenn diese jetzt für die Pflanzen mit ihren Wurzeln und die Microorganismen verfügbar werden und zersetzt werden, wird wieder mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre entlassen.
Aber warum ist das ein Problem? Das ist doch immer noch der natürliche Lauf der Dinge im Kohlenstoffkreislauf und ist auch ohne mehr Erwärmung schon so funktioniert. Aufbauen, Stoffwechsel, Absterben, Zersetzen?
Das Problem ist, dass dieser zusätzliche Kohlenstoff seit tausenden von Jahren gar nicht mehr in den aktiven Kreislauf eingebunden war. Alles zusätzliche bringt die Waage in ein Ungleichgewicht, denn Pflanzen betreiben nicht automatisch mehr Fotosynthese, um CO2 wieder zu binden.
Die Frage die allerdings bleibt, ist, ob über ein ganzes Jahr Pflanzen immer noch mehr CO2 binden können, als aus dem Boden wieder freigesetzt wird. Und wenn ja, wann wird der Kipppunkt kommen, an dem dieses Ökosystem eine reine Quelle für CO2 wird, weil so viel emittiert wird, was an fotosynthetischer Leistung nicht wieder gebunden werden kann?
Ich merke, du bist frustriert darüber. Warum geht dir das so nah? All das ist doch so weit weg.
Es ist uns näher als du denkst. Denn was uns daraus klar werden sollte, ist, dass alles was wir auch hier tun und verursachen, hat seine Auswirkungen überall auf der Welt. Die Arktis ist jedenfalls nicht der Ort, an dem so viel CO2 durch Verkehr, Industrie und sonstiges produziert wird und dort sind die Auswirkungen trotzdem umso drastischer. Während sich die gesamte Temperatur um 1 Grad erhöht hat, sind es in der Arktis schon 2. Und wie ein Dichter mal sagte, die Brühe, die wir heute in die Elbe ablassen, die haben wir morgen wieder in den Suppentassen.
Während wir hier in Europa, Deutschland und Ahrensfelde leben als wäre die Erde eine nie endende Ressource, stoßen die Ökosysteme am andern Ende der Welt an ihre Grenzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch bei uns ungemütlich wird. Und dann gilt es Rette sich wer kann. Und wer kann, kann, weil er Geld hat. Wir sind doch gar nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, wenn wir in unserem Geländewagen durch die Stadt fahren. Was damit alles zerstört wird, sehen wir gar nicht, weil wir den Blick nicht heben. Und sich einzugestehen, ein Egoist zu sein und nicht an die anderen Menschen oder gar die eigenen Kinder zu denken, ist hart und unbequem. Da lebt es sich leichter, sich diese Fragen einfach nicht zu stellen.
Ich frage mich, ist der Mensch überhaupt lernfähig ohne in Not zu sein? Braucht es erst eine Katastrophe bei uns, bis wir bemerken, dass wir grundlegend etwas an unseren Gewohnheiten ändern müssen?